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Winterfire

Mut

2/23/2024

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Ich habe viele wunderbare Erinnerungen an das Unterrichten, aber einer der Momente, in denen ich auf meine Schüler am stolzesten war, kam, als sie geschlossen als Gruppe an mich herantraten, um mich auf etwas anzusprechen, das ihnen über Wochen hinweg aufgefallen war. 
 
Ich unterrichtete damals noch Deutsch als Fremdsprache und Alphabetisierung. Meine Schüler waren Teenager und Damen und Herren, die bisweilen schon kurz vor der Pensionierung standen. Sie kamen aus den unterschiedlichsten Kulturen und aller Herren Länder. 
​
Nachdem ich meine Kursgruppe am Morgen begrüßt, zeremoniell meinen Kaffee auf dem Lehrertisch abgestellt hatte – was meine Gruppe normalerweise zum Lachen brachte - und mit dem Unterrichten beginnen wollte, hob einer der Männer die Hand. Er war sichtlich nervös. Ich erteilte ihm das Wort.

​„Frau Otti, das kann so nicht weitergehen. Wir müssen mit Ihrem Mann sprechen. Sofort.“ Ich war verwirrt und antwortete, dass ich nicht verheiratet sei. „Dann sprechen wir mit Ihrem Freund. Aber das kann so nicht weitergehen. Wir schauen uns das nicht mehr an.“ Ich war nun vollkommen verwirrt und entgegnete: „Ich habe auch keinen Freund. Ich lebe allein. Worum geht es denn?“ 

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(c) Tim Dornaus (2023)
Der Mann und ein paar Frauen standen auf und zeigten auf meine Unterarme und Hände, die mit blauen Flecken und Hämatomen übersäht waren. „Wir lassen nicht zu, dass Sie jemand schlägt! Das geht so nicht!“ Ich betrachtete meine Arme und sah sie zum ersten Mal durch die Augen von Menschen, die meinen persönlichen Hintergrund nicht kannten. Ich sah aus wie eine Frau, die Gewalt erfahren hatte. Ich sah auf und blickte jedem meiner Schüler in die Augen, Augen voller Erfahrungen, die niemand jemals machen sollte. 

Ich lächelte meine Gruppe an und sagte: „Danke! Ich muss Ihnen dazu etwas erklären. Diese Verletzungen passieren mehr oder minder freiwillig. Ich spiele Floorball. Das ist wie Eishockey, nur ohne Eis. Ich spiele für ein Bundesligateam hier in Wien, den WFV. Ich spiele im Tor. Ich wehre Schüsse der gegnerischen Mannschaft ab und benutze dazu meine Hände und stelle meinen ganzen Körper zwischen den Gegner und unser Tor. Ich habe am Dienstag und am Donnerstag Mannschaftstraining und am Wochenende Matches. Nach jedem Training oder Match gehe ich mit diesen Verletzungen nach Hause, aber das ist Teil meiner Aufgabe. Deswegen sehen Sie am Mittwoch und Freitag frische Blutergüsse. Der Ball wird scharf geschossen und ich spiele kurzärmelig. Lange Ärmel sind mir zu heiß.“ Ich deutete nacheinander auf die blauen Flecke. „Nicht im Tor. Nicht im Tor. Nicht im Tor. Das tue ich für mein Team. Weh tut, was man nicht sieht und hinter mir im Tor landet.“
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"White Lioness", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
"Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben. Mut ist, aus dem Herzen heraus zu handeln."

Die Gruppe blickte mich zuerst skeptisch an, dann begannen ein paar der Männer zu lächeln. „Wie ein Fußballtormann!“

​Da ich an dem Tag Training hatte, hatte ich auch meine Ausrüstung dabei. „Wollen Sie meine Ausrüstung sehen?“ Natürlich. Die Stunde wurde zu einer Diskussionsrunde über Leistungssport, eine Schülerin erzählte, dass sie Weltmeisterschaften geschwommen war und einer der Männer hatte in seiner Heimat vor dem Krieg als Profi Fußball gespielt. Ich lud alle zu unserem nächsten Match ein.
​
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"White Lion", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Am Ende der Stunde wollte sich die Gruppe bei mir entschuldigen.

Ich sagte meinen Schülern Folgendes: „Entschuldigen Sie sich niemals, niemals dafür, dass Sie einen anderen Menschen auf Verletzungen angesprochen haben. Niemals. Sie wissen nicht, was im Hintergrund ist und Ihre Worte können ein Leben verändern. Schauen Sie hin, sehen Sie. Sprechen Sie. Sie haben mir heute ein großes Geschenk gegeben. Danke, dass Sie mich gesehen haben. Danke, dass Sie den Mut gehabt haben, zu sprechen.“
 
Traut euch, zu sehen.  

Wagt es, zu sprechen.

​Habt den Mut, zuzuhören.
 
Macht den Unterschied. 
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Kreise

1/28/2024

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Kreise öffnen sich, Kreise schließen sich und doch haben sie keinen Anfang und kein Ende. Zeit verliert ihre Bedeutung, jedes Ende birgt einen neuen Anfang, alles, das beginnt, findet seine Vollendung, um neu zu entstehen. Kreise wachsen, ziehen sich zusammen, gerade so, wie es dem Augenblick gefällt.

​Jedes deiner Lächeln, jede deiner Taten, findet ihren Weg zurück zu dir, im ewigen Kreislauf, wenn die Zeit dafür gekommen ist und sich deine Erfahrungen in Weisheit verwandeln. Das Wissen, um die Freude, die du in andere Leben gebracht, das Wissen, um den Schmerz, den du verursacht hast, dein Herz erreicht. 
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"White Crystal Heart", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Wenn wir uns versammeln und uns gemeinsam in einem Kreis gegenübersitzen, einander in die Augen schauen und im Lächeln der anderen ihre Schönheit und Einzigartigkeit erkennen, kann keine Lüge gesprochen, hinter niemandes Rücken Falschheit verbreitet und niemand ausgeschlossen werden. Keinem ist es gegeben, dich kleiner zu machen, niemand kann dein Licht zum Erlöschen bringen. Das Lied deines Herzens erklingt klar und deutlich, wenn dir das Wort gegeben ist, und wenn du den Worten der anderen Herzen zuhörst, ihre Herzen singen hörst, wirst du der Gaben gewahr, die jedes Herz in diese Welt bringt. 
 
Mein Lernen führt mich hinter die Schleier, die über der materiellen Ebene liegen, in verschiedene Welten und Ebenen hinter unserem Bewusstsein. Ich werde oft zu Reisen in die Anderswelt gerufen. Jede Begegnung mit Geistwesen ist ein Geschenk, das neue Erfahrungen und Lernen mit sich bringt, manchmal eine Prüfung, während der man sich selbst begegnen darf, etwas über sich erfährt, das bis zu diesem Punkt auf dem eigenen Weg verborgen war oder man selbst tief in den eigenen Schatten begraben hatte. 

Nicht lange, nachdem mir das Geschenk zuteilgeworden war, Angaangaq Angakkorsuaq und Gayle Crosmaz während einer Zeremonie in Salzburg, die unter dem Zeichen von Neuanfängen und Neubeginn stand, zu begegnen, mit ihnen zu sprechen und ihnen zuhören zu dürfen, wurde ich wieder gerufen, eine Reise zu machen.

​Angaangaq hatte uns in Salzburg von der ungeheuren Kraft des Kreises erzählt, von seiner Bedeutung in den verschiedenen Traditionen und unter Schamanen. Seine Worte hatten mich tief berührt. 
​
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Die Wespe ist die Hüterin und Bewahrerin Heiliger Zirkel und Kreise. "White Wasp", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Der Älteste sagte: „Ein Kreis ist immer so groß wie notwendig, so klein wie nötig. Er wächst, wie es der Augenblick bedarf. Niemals ist es von Nöten, den Platz eines anderen mit Gewalt an sich zu reißen, jemanden aus Wut und Zorn zu verstoßen oder seinen Sitz aus Eifersucht zu rauben."

​Ich begab mich in die Anderswelt und fand mich in einer Native American Siedlung wieder. Dort war ich schon oft gewesen und kannte sie mittlerweile sehr gut. An diesem Ort versammelt sich der Rat der Schamanen - so nenne ich ihn zumindest. Die Schamanen, die sich dort treffen, versammeln sich in ihrer reinen Lichtform. Einige von ihnen kenne ich, manche sind inkarniert und erfüllen auf der materiellen Ebene ihre Aufgaben, andere beobachten, träumen und unterrichten in der Anderswelt. 
​
Der Älteste des Rates begrüßte mich lächelnd, als ich den Ratsplatz inmitten der Siedlung betrat, legte mir seine linke Hand auf die rechte Schulter und sprach: „Schau! Da ist ein freier Ratssitz. Der, der ihn innehat, ist nicht da. Nimm seinen Platz ein.“ Ich sah mich um und betrachtete die anderen Schamanen, die im Kreis Platz genommen hatten. Ich war verwirrt. Einen Augenblick blickte ich den leeren Ratssitz an, dann sagte ich: „Das ist nicht mein Platz und ich werde ihn nicht einnehmen. Er gehört einem anderen.“ Dann begriff ich, wessen Ratssitz es war und woher meine Verwirrung stammte. Er gehörte einem Schamanen, dem ich nicht nur auf der materiellen Ebene sehr oft begegnet war, sondern gleichermaßen oft in seiner Lichtform in der Siedlung in der Anderswelt gegenübergestanden hatte, wenn der Rat zusammengetreten und ich gerufen worden war.
Der Älteste sprach: „Er hat dich verletzt und ist nicht mehr hier. Er ist von seinem Weg abgekommen. Nimm seinen Platz ein!“ Ich weigerte mich erneut. „Das ist sein Platz, ungeachtet dessen, was geschehen oder nicht geschehen ist.“

Ich trat einen Schritt zurück und ließ einen Kristall aus reinem Licht entstehen. Ich legte den Lichtkristall vor den leeren Ratssitz und sagte: „Das ist ein Kristall aus reinem Licht, ein Leuchtfeuer. Er wird ihn zurück nach Hause an seinen angestammten Platz führen. Dieser Ratssitz ist nicht der meine. Einem anderen zu nehmen, was das Seine ist, ist nicht mein Weg. Es ist sein Platz und sein Weg wird ihn hierher zurückführen.“ Kaum war ich einen Schritt von dem leeren Ratssitz zurückgetreten, erschien der Schamane in seiner Lichtform. Er nahm Platz und lächelte mich an. Ich nickte ihm zu und wandte mich um.

Der Älteste legte seine Hände auf meine Schultern, blickte mir in die Augen und begann zu lächeln. Der Kreis der Schamanen wuchs um uns herum, wurde größer und ein leerer Platz tat sich in seiner Mitte auf. Der Älteste sagte: „Ein Kreis ist immer so groß, wie es notwendig ist, so klein wie nötig. Er wächst, wie es der Augenblick bedarf. Niemals ist es von Nöten, den Platz eines anderen mit Gewalt an sich zu reißen, jemanden aus Wut und Zorn zu verstoßen oder seinen Sitz aus Eifersucht zu rauben.“ Er wies auf den neu entstandenen Ratssitz. „Das ist der deine. Nimm Platz!“

​Das tat ich. 
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Ich bin ich

1/25/2024

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Als ich nach längerer Krankheit an meinen Arbeitsplatz zurückgekehrt war, fand ich mich immer wieder mit der Herausforderung konfrontiert, alte Gewohnheiten und alte Strukturen meiner Selbst wie die Haut einer Schlange abzustreifen und gehen zu lassen. Wieder und wieder fühlten sich die neuen Schuppen zu eng an, wieder und wieder streifte ich sie ab. Ich wurde öfter zu Reisen in die Anderswelt gerufen und viele der Begegnungen brachten nicht nur Lernen, sondern auch herzliches Lachen mit sich.
 
Eines Tages tauchte ein wunderschönes Stinktier in meinem Energiefeld auf und fragte mich, ob ich denn nicht Lust auf einen gemeinsamen Spaziergang hätte. Da ich die Freundlichkeit und Herzlichkeit des Stinktieres spürte und es auch dazu noch eine rote Blume auf dem Kopf trug, stimmte ich natürlich zu. Da ich zu dem Zeitpunkt von Gestaltwandeln fasziniert war und auf Reisen ständig dabei war, zu üben, beschloss ich kurzerhand, auch die Gestalt eines Stinktieres anzunehmen. 
 
Zu der Zeit war die Schwerkraft noch tief in meinem Denken verankert und ich als perfektionistisch veranlagter Steinbock sehr detailverloren und strukturbedacht. Gestaltwandeln war mehr Wissenschaft als einfach tun. Meine Stinktierfreundin beobachtete mich geduldig, während ich mich wandelte. Unglücklicherweise begann ich am falschen Ende und die Schwerkraft machte sich bemerkbar. Wenn etwas noch im Verstand verankert ist und man es noch nicht losgelassen hat, zeigt es sich auch. 
Das Stinktier lächelte sanft, während ich mir den Staub aus meinem neuen Pelz klopfte und dann ging es über Stock und Stein los. Wir tobten durch den Wald und spielten fangen, bis wir zu einer Lichtung kamen. Dort blieb meine Stinktierfreundin stehen und lächelte mich an. Mitten auf der Lichtung tanzte ein Schamane, der außer einem Stinktierpelz auf dem Kopf nichts weiter trug. Er strahlte von innen und lächelte glücklich. Ich sah das Stinktier an, wandte mich wieder dem Schamanen zu und blickte abermals meiner Stinktierfreundin in die Augen. „Für dich ist das vollkommen in Ordnung.“ Sie lächelte nur weiter ihr sanftes Lächeln, nickte und sagte: „Ja.“ Dann zupfte sie die Blume auf ihrem Kopf zurecht und begann ebenso zu tanzen. 
​
Sei du selbst.
​Darin liegt deine Kraft.

​Ein paar Tage später war ich auf dem Weg zum Einkaufen. Ich war in Gedanken versunken und dachte darüber nach, welche Meinung sich andere über mich gebildet hatten. Irgendwann war es genug. Ich sprach zu mir selbst: „Die Meinung anderer ist die Meinung anderer. Sie geht mich nicht das Geringste an. Ich bin ich.“ Als ich aufblickte sah ich den Schamanen vor mir stehen, Stinktierpelz auf dem Kopf, sonst nichts. Er zwinkerte mir zu und tanzte weiter.   
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"White Eastern Spotted Skunk", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Ein paar Wochen danach, schenkte mir einer meiner damaligen Arbeitskollegen eine ganz spezielle Kopfbedeckung zum Geburtstag. Ich liebe Humor, der von Herzen kommt und gemeinsames Lachen, und wir fünf, die wir uns damals einen Büroplatz geteilt haben, waren eine eingeschworene Truppe. Ein Jahr davor war ich auch in den Betriebsrat gewählt worden und somit zu dem Zeitpunkt dabei, in meine Rolle zu wachsen, zu lernen und bei Meetings arbeitsrechtliche Fragen zu diskutieren und zu erörtern. Da das Institut sehr groß war, waren wir sogar achtundzwanzig Betriebsräte.
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"White Skunk", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Irgendwann war es genug. Ich sprach zu mir selbst: „Die Meinung anderer ist die Meinung anderer. Sie geht mich nicht das Geringste an. Ich bin ich.“ 

​Als ich mir dann einen frischen Kaffee holen wollte, bestanden meine Kollegen darauf, dass ich besagte Kopfbedeckung auf dem Weg in die Küche und zurück tragen sollte. Ich nahm die Herausforderung nach einem gutmütigen Wortgefecht an. Da wir unsere Pause zu einer Zeit gemacht hatten, wo der Unterricht in vollem Gange war, war die Chance, Kollegen am Gang zu treffen, gleich Null. Meine Schüler kannten mich und meinen Humor, deshalb wäre mein Anblick – eine Lehrerin mit einem gigantischen gelben Plüschhuhn auf dem Kopf, das noch dazu lange Beine und einen knallroten Bürzel hatte – für sie absolut nichts Ungewöhnliches gewesen.
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Ja, das bin ich. Mit einem Plüschhuhn auf dem Kopf.

​Ich verließ also unser Büro, machte ein paar Schritte Richtung Küche und selbstverständlich gibt es ein Naturgesetz, das besagt, dass, wenn man an seinem Arbeitsplatz mit einem gelben Riesenhuhn auf dem Kopf herumrennt, man augenblicklich seinem Vorgesetzten begegnen muss. Das ist einfach so. Mein Vorgesetzter starrte mich an, seine Augen wurden immer größer und dann fiel ihm die Kinnlade herunter. Ich war also mit einer Entscheidung konfrontiert: Entweder das Plüschhuhn von meinem Kopf nehmen und mich entschuldigen, oder… Ich sah ihm tief in die Augen und sagte: „Ich weiß. Ich kann alles tragen.“ Dann nahm ich einen der Plüschhendlhaxen in meine Hand warf ihn nach hinten, wie man eben langes Haar nach hinten werfen würde. Ich stolzierte langsam an ihm vorbei und als ich um die Ecke bog, wo die Küche war, hörte ich ihn plötzlich lauthals lachen. Das erste Mal seit Monaten.
 
Als wir dann einmal ein Meeting hatten, schlug ich scherzhaft vor, dass wir ja mein Foto mit dem Plüschhuhn als mein neues Firmenfoto verwenden könnten. Zwei Tage danach, zitierte er mich in sein Büro, sah mich todernst an und sagte: „Ich habe schlechte Neuigkeiten.“ Er seufzte tief und schüttelte seinen Kopf. „Die Personalabteilung hat dein Ansuchen abgelehnt.“ Ich starrte ihn einen Moment lang an. „Das ist wahrlich bedauerlich.“ Dann brachen wir in schallendes Gelächter aus.
 
Sei du selbst. Darin liegt deine Kraft.
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Eine Reise ins Unbekannte

1/23/2024

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Kannst du dir vorstellen, wie es sich anfühlen würde, auf eine Party zu gehen, auf der jeder deinen Namen kennt, genau weiß, wer du bist, dir lächelnd etwas darüber erzählt, was ihr in der Vergangenheit gemeinsam angestellt habt, dir dann auf die Schulter klopft und mit „Schön, dich wiedergesehen zu haben!“ von dannen geht? Wo jeder weiß, wer du bist, außer du selbst? So geht es mir manchmal. 
 
„Ich bin die Weiße Krähe.“ Das habe ich einem Wesen, das ich auf einer meiner ersten Reisen in die Anderswelt getroffen habe, einfach so gesagt. Der Name war einfach da und ich wusste im selben Augenblick, als ich ihn ausgesprochen hatte, dass es tatsächlich der meine war. Auch das Wesen, das vor mir stand, nickte, schien erfreut und nach einer herzlichen Unterhaltung trennten sich unsere Wege. Davor hatte mich ein Krähenschwarm zu der Reise hinter die Schleier eingeladen und ich hatte mich ohne zu überlegen einfach in eine Krähe verwandelt und war mitgeflogen. Es hatte sich vollkommen normal angefühlt.   

Als ich einen Heiler und Schamanen traf, der meiner Mutter bekannt war, weil ich mit jemandem über die Veränderungen, die in meinem Leben stattfanden, sprechen wollte, fragte er mich nach meinem Namen. Ohne zu zögern antwortete ich „Ich bin die Weiße Krähe.“. Er starrte mich an. Ich starrte zurück. Nach einer Weile sagte ich: „Oh! Mein Name ist Kristin.“ Wir starrten uns weiter an. Schließlich kam ein „Aha“ und er starrte weiter. 
​
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"Eagle Reborn", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)

​Dann erschien eines Tages ein nordamerikanischer Schamane und Medizinmann in meinem Energiefeld. Da ich bis zu dem Zeitpunkt dergleichen weder erlebt, noch gewusst hatte, dass das möglich war, blickte ich ihn einfach nur mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund an. „Du hast entschieden, noch einmal hierher zurückzukommen! Ist das genial!“ Ich brachte ein „Ja?“ heraus. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wovon er sprach. „Das ist fantastisch! Du bist wieder da!“ Ich starrte einfach weiter. „Wann kommst du rüber?“ „Rüber?“ „Um uns zu besuchen!“ „Dazu habe ich die Mittel im Augenblick nicht.“ „Die Mittel dazu sind nicht von Belang,“, winkte er ab, als wäre Geld aufzutreiben das geringste aller Probleme. „Sag, wie heißt du?“ „Ich bin die Weiße Krähe.“ „Ja, natürlich bist du das. Wer solltest du denn sonst sein? Das warst du immer und das wirst du immer sein. Nein, dein Name. Wie ist dein Name?“ Ich blickte ihn einfach nur an. „Dein Name. In diesem Leben. Welcher Name ist dir in diesem Leben gegeben worden?“ „Kristin.“ Er strahlte mich an, klatschte vergnügt in die Hände und eilte davon. Ich starrte ihm hinterher. Zwei Dinge verwirrten mich vollkommen: Der Schamane wusste offenbar, wer ich war, und er hatte sich offen und ehrlich darüber gefreut, mich zu sehen.

In Salzburg habe ich zum ersten Mal ausgesprochen, dass es diese Arbeit ist – jene des Heilers und Schamanen – die ich verrichten möchte und liebe.   

​Da die Verbindung zu ihm nicht unterbrochen worden war, sah ich, wie er auf einen anderen Schamanen zuging und rief: „Er ist wieder da!“ Der andere sagte: „Nein, das ist unmöglich!“ „Doch, er ist wieder da! Im Körper einer Frau!“ Dann sah der andere Mann auf und erblickte mich. Seine Augen wurden groß und er begann zu breit zu lächeln. Da erinnerte ich mich plötzlich an etwas aus einem meiner früheren Leben. Wir hatten bei den Haida gelebt. Als Kinder hatten wir gemeinsam gespielt. Eines Tages war uns nach Honig gewesen und wir hatten uns auf die Suche nach Bienenstöcken gemacht. Warum wir die Bienen nicht einfach um Honig gebeten hatten, war mir nun schleierhaft. Wir waren auf die glorreiche Idee gekommen, mit Ästen auf die Bienenstöcke einzuschlagen, um an den Honig zu gelangen. Mein Großvater, der Medizinmann und Schamane gewesen war, hatte unser Abenteuer dann zum Anlass genommen, mir beizubringen, wie man Bienenstiche richtig behandelt.   
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"White Crow", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Ich war nie auf die Idee gekommen, meinen Namen genau zu recherchieren. Für mich war es einfach nur ein weiterer Teil des Puzzles, da ich keinen Mentor hatte, den ich einfach fragen hätte können. „Ha, du bist dran!“ so ungefähr fühlte es sich an, nur, dass ich nicht wusste, in welches Spiel ich da hineingeraten war und woran ich teilnehmen sollte. 
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Kannst du dir vorstellen, wie es sich anfühlen würde, auf eine Party zu gehen, auf der jeder deinen Namen kennt, genau weiß, wer du bist, dir lächelnd etwas darüber erzählt, was ihr in der Vergangenheit gemeinsam angestellt habt, dir dann auf die Schulter klopft und mit „Schön, dich wiedergesehen zu haben!“ von dannen geht? Wo jeder weiß, wer du bist, außer du selbst?

Dann wurde mir das Geschenk zuteil, Angaangaq Angakkorsuaq und Gayle Crosmaz in Salzburg während einer Zeremonie kennenzulernen. Als ich Gayle sagte, dass mein Name „ White Crow“ ist, erwiderte sie, dass der ihre „White Raven“ wäre. Danach erzählte sie mir, dass Angaangaq ihr den Namen „Allaq“ gegeben hatte und er „Schwarzbär“ bedeutet. Während der Zeremonie beantwortete Angaangaq eine Frage, die ihm just zum Thema „spirituelle Namen“ gestellt worden war und das weckte mein Interesse. Als ich dann in einem Wiener Kaffeehaus saß und bei einem Kaffee an einer Geschichte weiterschrieb, an der ich bereits vor der Zeremonie in Salzburg gearbeitet hatte, begann ich zu recherchieren.

Ich las zuerst die Ojibwe-Mythen zu Schwarzbär und Rabe und stieß dabei auf die Geschichte von Aandeg der Krähe. Während ich die Geschichte las, begriff ich etwas, das mit meinem Wesen zu tun hatte. Ich hatte immer nach meinem Platz im Leben gesucht und wenn ich etwas gelernt und verstanden hatte, wurde mir langweilig und etwas Neues musste her. Das Lustige an der Sache war, dass ich, obwohl ich meinen Weg und meinen Platz nicht zu finden vermochte, anderen weiterhelfen konnte, indem ich ihnen von meinen Erfahrungen und Erlebnissen berichtete. Ich habe mehr als sechzehn Jahre lang Kinder, Jugendliche und Erwachsene unterrichtet. Was mir am meisten Freude am Unterrichten bereitet hat? Meine Schüler blühen und Vertrauen in sich selbst finden zu sehen. 

In der Ojibwe-Geschichte sucht die Krähe nach ihrer Bestimmung und ihrer Aufgabe. Sie ist zu ungeduldig, um auf die Rückkehr des Großen Einen, des Schöpfers, zu warten. Gerade, als er die Krähe erschaffen hatte, war er weggerufen worden und hatte die Krähe gebeten, für einen Moment zu warten. Die Krähe war aber weggeflogen, um selbst nach ihrer Bestimmung zu suchen und herauszufinden, was ihre Aufgabe war. Die Krähe ging bei allen Wesen der Schöpfung in die Lehre, konnte aber ihre Aufgabe nicht finden und war unzufrieden mit ihrem Dasein, bis sie begann, anderen Rat zu geben und ihnen dabei zu helfen, ihre Bestimmung zu finden. Alles, was sie gelernt hatte, wurde zu Weisheit, die jenen Heilung brachte, die ihrer bedurften. Ohne es zu ahnen, hatte die Krähe so ihre Bestimmung und Aufgabe gefunden. 
​
Als ich die Geschichte las, verstand ich einen Teil meiner selbst. Ich hatte mich immer gefragt, warum ich meinen Platz im Leben nicht finden konnte und wozu ich hier wäre, was meine Aufgabe sei. Ich bin am glücklichsten, wenn ich andere dabei unterstützen kann, in ihre Kraft zu kommen und ihr inneres Feuer wieder zu entfachen. Dass ich bei jeder Begegnung selbst Neues lernen darf, ist ein Geschenk.

​In Salzburg habe ich zum ersten Mal ausgesprochen, dass es diese Arbeit ist – jene des Heilers und Schamanen – die ich verrichten möchte und liebe.   


Aandeg die Krähe
Eine Geschichte der Ojibwe

Als der Große Eine, Gichi-Manidoo, die Vögel erschuf, erzählte er jedem einzelnen von ihnen von seiner Bestimmung und wie er dazu beitragen konnte, das Große und Ganze zum Blühen zu bringen. „Migizi, du wirst derjenige sein, der Allherz, Allseele und Allgeist die Gebete, Bitten und den Dank der Menschen zu Gehör bringt!“, sagte er zum Adler. Dann rief er den Falken herbei und sprach: „Gekek, du wirst Bote der Völker sein, wenn sie Heilung bedürfen oder etwas darben.“ Dann rief Gichi-Manidoo den Seetaucher herbei und erklärte ihm: „Maang, du wirst ein Lehrer der Völker und ihnen von Liebe und Gemeinschaft erzählen!“ Dann erschuf der Große Eine die Krähe und begann: „Aandeg, du bist… Warte einen Augenblick, mein Freund. Meine Anwesenheit ist für einen Moment anderswo von Nöten. Gedulde dich kurz und warte auf mich. Ich bin gleich wieder da!“ Aandeg die Krähe nickte, aber begann sich alsbald zu langweilen und ihr Federkleid zu putzen. „Ah, hallo? Großer Einer? Hallo? Ist da jemand?“ Die Krähe sah sich um. „Wäre jemand so freundlich, mir zu sagen, was meine Aufgabe ist? Hallo? Was ist meine Bestimmung? Also, wenn da keiner ist, finde ich das selbst heraus. Hm, wen frage ich da am besten?“, krächzte die Krähe ungeduldig. „Ja! Genau! Makwa! Ich frage Makwa, den Bären. Das ist eine gute Idee!“
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"White Jumping Squirrel", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)

​Aandeg flog los und begab sich zu Makwas Höhle. „Boozhoo, Makwa! Ich bin’s, Aandeg!“ „Boozhoo, Aandeg, schön dich zu sehen! Was führt dich zu mir?“ „Makwa, ich habe keine Ahnung, was ich tun soll, der Große Eine hat es mir nicht gesagt. Darf ich bei dir in die Lehre gehen und von dir lernen, damit ich anderen helfen kann?“ „Natürlich! Ich werde dir zeigen, wo du die richtigen Kräuter findest und die Pflanzen, die Heilung bringen. Dann lehre ich dich, wie man fischt und die kalten Wintertage unbeschadet überdauert!“ Aandeg war ein gelehriger Schüler und eignete sich in Windeseile an, was Makwa ihm beibrachte.

​Aber als der Winter kam und der erste Schnee gefallen war, sprach er: „Also, den ganzen Winter zu verschlafen, das ist nicht, was ich zu tun wünsche. Es gibt doch noch so viel zu lernen! Ich finde schon eine Beschäftigung, die passt. Danke, Makwa, wir sehen uns im Frühling!“ Aandeg flog davon und ging beim Biber in die Lehre, dann fragte er den Seetaucher, ob er von ihm lernen dürfte, suchte den Wolf auf und bat ihn, sein Mentor zu werden, danach gingen er und die Schildkröte eine Zeitlang den Weg gemeinsam, bis Aandeg wieder ungeduldig wurde, und dann bat die Krähe auch noch den Coyoten um Rat. Aandeg ging bei allen Wesen der Schöpfung in die Lehre, doch seine Bestimmung konnte er nicht finden und so flog er unglücklich umher, immer weiter auf der Suche. 

​Dann, eines Tages, hörte er jemanden bitterlich im Walde weinen. Es war Ajidamoo das Eichhörnchen, das kläglich auf einem Eichenbaum vor sich hin schluchzte. Das Eichhörnchen sah kränklich und traurig aus. „Aaniin, Ajidamoo, was ist denn los mit dir? Warum klagt dein Herz?“ Ajidamoo sah auf und sah die Krähe aus verweinten Augen an: „Aaniin, Aandeg! Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll! Mein Herz fühlt sich so schwer an und ich fühle mich ganz leer!“ Aandeg krächzte: „Weißt du was? Wir fragen Makwa um Rat! Makwa der Bär ist der beste und weiseste Heiler von allen! Und dann besuchen wir auch Mikinaak die Schildkröte. Mikinaak weiß am besten, wie man Schritt für Schritt vorwärts geht und geduldig einen Fuß vor den anderen setzt! Geduldig, ja.“

Makwa und Ajidamoo hielten eine wunderschöne Heilzeremonie und Mikinaak erzählte dem Eichhörnchen alles über Geduld und langsames Vorantasten. Bald war Ajidamoo zur Gänze genesen und konnte sich voller neuem Tatendrang seinen Aufgaben zuwenden.  Aandeg sprach: „Das war ja großartig! Mein Herz singt voller Freude! Was nun? Soviel zu lernen, jaja. Wohin könnte ich denn jetzt fliegen?“ Da hörte er erneut jemanden im Walde weinen. „Oh, was ist denn jetzt wieder los?“
​

"Gedulde dich kurz und warte auf mich. Ich bin gleich wieder da!“ Aandeg die Krähe nickte, aber begann sich alsbald zu langweilen und ihr Federkleid zu putzen. „Ah, hallo? Großer Einer? Hallo? Ist da jemand?“ Die Krähe sah sich um. „Wäre jemand so freundlich, mir zu sagen, was meine Aufgabe ist? Hallo? Was ist meine Bestimmung? Also, wenn da keiner ist, finde ich das selbst heraus."

​Da die Krähe immer neugierig war und helfen wollte, flog sie los, um nachzusehen. Waabooz der Hase saß vor seinem Hasenbau und weinte. „Boozhoo, alter Freund, was ist denn los?“ „Ach, ich kann einfach nicht mehr! Ich halte es nicht mehr aus. Ich möchte mich einfach hinlegen und sterben!“ „Warum das denn?“ Waabooz der Hase begann sich bitter über Waagosh den Fuchs zu beklagen. Nie könne man in Ruhe arbeiten oder schlafen, immer müsse man auf der Hut sein. Die Krähe hörte aufmerksam zu und erklärte ihrem Hasenfreund, dass er seine langen Ohren und seine langen Beine nutzen solle. „Waabooz, hör doch einmal zu! Mit deinen langen Löffeln hörst du doch fantastisch und merkst sofort, wenn Waagosh in der Nähe ist! Und mit den langen, starken Beinen? Da springst du doch im Nu davon und er kommt dir nicht hinterher!“ Der Hase sah die Krähe vollkommen überrascht an: „Du hast ja recht! Das kann ich tun! Und weißt du was, das fühlt sich auch noch richtig gut an! Danke, Aandeg!“
 
Von jenem Tage an flog Aandeg über die Lande und schloss Freundschaft mit allen Wesen der Schöpfung. Er hatte seine Bestimmung und Aufgabe darin gefunden, anderen dabei zu helfen, die ihre zu entdecken und mit frischem Tatendrang und offenem Herzen ihren Aufgaben zu folgen.          
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Die Krone

1/18/2024

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Eine meiner ersten Reisen in die Anderswelt führte mich in eine Wüste. Ich war dem Ruf eines Geiers gefolgt und wanderte durch die Dünen. Die Sonne stand hoch am Himmel, der sich strahlend blau über die Sandlandschaft erstreckte. Nach einer Weile gelangte ich zu einem Grabmal. Es wirkte wie eine alte Tempelstätte, einige der Säulen waren umgestürzt und die Stufen, die zum Eingang hinaufführten, waren ausgetreten. Jemand wartete am Eingang auf mich. Ich erklomm die Stufen und stand einem alten König gegenüber. Er trug eine Krone, die stumpf und glanzlos wirkte, seine Haut war trockenes Pergament, sein Fleisch ausgedörrt und ich konnte dort, wo seine ausgetrockneten Muskeln gerissen waren, vergilbte Knochen sehen. Als ich hinspürte, nahm ich keine Dunkelheit wahr, sondern tiefe Müdigkeit.
 
„Folge mir.“ Er betrat das Grabmal und ich folgte ihm. Er führte mich in einen Raum, in dem abertausende Kronen lagen. Manche aus Gold, geschmückt mit Smaragden und Rubinen, andere aus Silber, wiederum andere aus Metallen und Materialen, die ich weder jemals zuvor gesehen noch jemals zuvor gespürt hatte. 
„Nimm dir eine der Kronen.“ Ich weigerte mich. „Nimm eine. Sie gehört dir.“ „Nein, zu keinem Zeitpunkt.“ Er blickte mich streng an und befahl: „Nimm eine Krone! Wähle eine, die dir zusagt. Sie gehört dir.“ „Nein, ich werde keine der Kronen in meinen Besitz nehmen. Sie gehören anderen und sind Zeichen ihrer Verdienste und Errungenschaften. Ich werde die Verdienste und Leistungen anderer nicht zu meinen eigenen machen und so tun, als ob ich es wäre, die die Krone derjenigen verdient am Haupte trägt. Wenn überhaupt, so werde ich die Kronen betrachten und von jenen lernen, die die Kronen als Zeichen der Ehre und Wertschätzung erhalten haben, als sie den ihnen anvertrauten als Anführer gedient haben. Aber niemals werde ich die Krone eines anderen zu der meinen machen!“ Ich begann zornig zu werden und meine Wut begann den Raum auszufüllen. Der alte König blickte mir kerzengerade in die Augen und sagte: „Nimm eine der Kronen.“ Ich starrte zurück und erwiderte: „Ich trage bereits eine Krone. Ich werde keines anderen Krone an mich nehmen. Ich habe meine eigene. Sie ist in mir.“ Kaum hatte ich ausgesprochen, so begann ein hölzerner Stirnreif aus meinem Körper zu wachsen. Er legte sich um mein Haupt. Der Reif war wunderschön. Ich wusste und spürte, dass er aus Holz war, aber ich hatte diese Art von Holz noch nie gesehen und auch seine Energie zuvor noch nicht gefühlt. Sie fühlte sich warm und lebendig an. Der Stirnreif war bar jeder Zier, aber in meinen Augen war er der schönste, den ich jemals gesehen hatte. Der alte König blickte mich an und lächelte. Dann verließen wir das Grabmal und nahmen voneinander Abschied.
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Picture"White Bearded Vulture", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)


​Dann begannen auf unserer Ebene des Seins Dinge zu geschehen und ich wurde in Dunkelheit geworfen. Ich hatte die Idee zu einem Projekt gehabt und mit anderen gemeinsam das Projekt ausgearbeitet, nur um dann zu erleben, wie sich andere das von uns Erarbeitete aneigneten und behaupteten, es wäre ihr Werk gewesen. Ich folgte allerdings meinem Weg weiter und zeigte auf, wer tatsächlich gearbeitet und mitgewirkt und wer in Wahrheit keinen Finger gerührt hatte.

Ich hatte auf meinem Weg ein großes Geschenk erhalten und durfte meinen Schatten begegnen, mich ihnen stellen und entscheiden, ob ich meinem alten Weg weiter folgen oder einen neuen Weg beschreiten wollte.

​Mitten im Chaos wurde ich abermals in die Wüste hinter den Schleiern gerufen. 

„Nimm eine Krone.“ „Ich habe Euch bereits gesagt, dass ich mir nicht nehmen werde, was einem anderen gehört.“ „Nimm eine Krone.“ Mein Zorn wurde zu einem rasenden Feuer, aber ich hielt mich im Zaum. Dann erfüllte mich mit einem Mal absolute Ruhe. Ich sah ihm direkt in die Augen. „Ich brauche die Krone eines anderen nicht. Ich bin genug.“ 
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"White Vulture", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Ich reiste wieder durch die Wüste in die Anderswelt. Ein einzelner Geier kreiste am strahlend blauen Himmel. Nach einer Weile stand ich abermals vor dem Grabmal, das ich auf meiner ersten Reise in die Wüste betreten hatte. Es wirkte noch älter als damals.

Der alte König erwartete mich am Eingang.  Wir begrüßten einander und ich folgte ihm in die Grabstätte. Er führte mich abermals in den kronengefüllten Raum. Ich sah ihn and spürte, wie Zorn langsam in mir hochzusteigen begann. 
„Nimm eine Krone.“ „Ich habe Euch bereits gesagt, dass ich mir nicht nehmen werde, was einem anderen gehört.“ „Nimm eine Krone.“ Mein Zorn wurde zu einem rasenden Feuer, aber ich hielt mich im Zaum. Dann erfüllte mich mit einem Mal absolute Ruhe. Ich sah ihm direkt in die Augen. „Ich brauche die Krone eines anderen nicht. Ich bin genug.“ Die Augen des alten Königs leuchteten auf und er begann zu lächeln. In seinen Händen wuchs aus dem Nichts ein grüner Kristall. Die Energie, die er ausstrahlte, war warm. Ich hatte noch nie zuvor solch einen Kristall gesehen. Er bettete den Kristall in meiner Stirn ein und wir wurden eins. „Das ist ein Geschenk, eine Gabe für dich. Du bist jetzt noch nicht im Stande dazu, zu wissen und zu begreifen, was es bedeutet und warum sie dir gegeben worden ist. Du wirst verstehen, wenn es dazu Zeit ist.“ Ich dankte ihm und ein Lächeln huschte über meine Lippen. „Komm.“ 

Wir verließen die Grabstätte und als wir die Stufen erreicht hatten, die in die Wüste hinausführten, wandte er sich noch einmal zu mir um. Seine Gestalt begann sich zu verändern. Leben floss zurück in seinen Körper, wo seine Haut und sein Fleisch ausgedörrt und zerrissen gewesen waren, begann es zu gesunden und zu heilen. Seine Gewandung nahm wieder Farbe an und aus den Fetzen wurde eine Robe. Die Wüstensonne ließ seine Krone in neuem Glanz erstrahlen. Er lächelte mir zu, dann legte er seine Hände auf meine Schultern. Nach einer Weile ging ich in die Wüste davon.
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Jeder einzelne von uns ist einzigartig, ein wunderschönes Geschenk und eine blühende Blume, die Heilung und Weisheit in sich trägt. Wir alle besitzen eine Krone. Wir alle sind damit geboren worden. Wir tragen sie bereits in uns. Es ist nicht notwendig, anderen etwas wegzunehmen und so zu tun, als wären ihre Verdienste und Leistungen unsere eigenen.
 
In dir, deinem Herzen, deiner Seele, deinem Verstand und deinem Geist schlummern unglaubliche Talente und Gaben. Lerne von anderen, sei offen für ihre Weisheit, beobachte mit wachen Augen, höre mit offenen Ohren zu, öffne dein Herz für ihre Zeremonien, aber habe den Mut, du selbst zu sein. Trag deine eigene Krone voller Stolz.

​Du bist genug.  
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Ein Samenkorn der Hoffnung und des Vertrauens

1/14/2024

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Gestern wurde ich auf eine unglaublich schöne Reise in die Anderswelt mitgenommen. Manchmal kommen Naturgeister vorbei, sagen „Hallo!“ und wir plaudern oder ich darf sie bei etwas begleiten und etwas über die wunderbaren Heilgaben um uns herum lernen. 
 
Um die Mittagszeit näherte sich mir einer der Naturgeister, die die Seen bewohnen, langsam und vorsichtig. Es war ein wunderschönes bläulich-weiß schimmerndes Pferd mit Seerosen in der Mähne. Es kam nicht alleine, sondern wurde von einer der Wettermähren, einem Donnerpferd, begleitet. Ich kannte die Wettermähre sehr gut, denn wir waren schon gemeinsam gereist. In der Seenmähre spürte ich die Energie und das Lied meines Heimattales. Sie wirkte verletzt, aber in ihr waren auch ein winziger Funken Hoffnung und ein Samenkorn, das sich nach Vertrauen anfühlte und darauf wartete, aufzusprießen.
 
Ich erlaubte ihr, tief in mein Herz zu schauen und mein Innerstes zu fühlen. Während ich geduldig darauf wartete, dass sie Schritt für Schritt weiter auf mich zu kam, fühlte ich, dass sie nicht alleine war, sondern etwas in sich nährte und neues Leben behütete. Sie trug ein Fohlen unter dem Herzen. Als sich unsere Herzen verbanden und gemeinsam ein Lied von Heilung und Liebe sangen, sah ich, dass ein anderes Wesen ohne Erlaubnis der Stute von ihrer Milch trank und an ihrer Lebensenergie und der des ungeborenen Fohlens zehrte. Als Licht das Herz der Seenmähre zu füllen begann, wurde das dunkle Wesen davongeschleudert und kam ein wenig abseits auf dem Rücken zu liegen. Sofort preschten andere Donnerpferde und Seenmähren herbei und wollten das Wesen angreifen. Ich bat sie zu warten, denn ich wollte zuerst mit dem Wesen sprechen und seine Geschichte hören. Als das Lied der Heilung gesungen war und die Heilzeremonie zu ihrem Ende kam, wandte ich mich dem dunklen Wesen zu. Die Seenmähre beobachtete uns vollkommen ruhig, als wir zu sprechen begannen. ​
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"White Horse", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)

​Das Wesen war einer der Berggeister, die tief in Mutter Erde wohnen, und nicht minder verletzt, als es der Geist der Seen gewesen war. Es erzählte mir, dass seine Familie am Verhungern und Dahinsiechen war, weil ihre Heimat nicht nur auf der materiellen, sondern auch hinter den Schleiern von Menschen geplündert und zerstört worden war. Ich spürte eine dunkle Energie an ihm haften, wie einen Fingerabdruck. Ich wusste, zu wem er gehörte. Ich segnete den Berggeist und überraschte ihn damit vollkommen. Dann bat ich den dunklen Rauch, davonzuziehen und in Liebe und Segen zu Allherz zu gehen und dort zu Heilung für Allschöpfung zu werden. Dann erschuf ich einen kleinen, irdenen Becher und füllte ihn mit den Energien der Wasser, Kristalle, Erze und Mineralien, die tief in Mutter Erde wohnen. Der Berggeist hatte Angst davor, von dem Becher zu trinken, denn er war schon oft betrogen worden, also nahm ich einen kleinen Schluck und er konnte sehen, wie mich die Energie heilte. Dann traten die Donnerpferde und Seenmähren nach und nach heran, tranken und heilten, während der Becher zu einer Tränke heranwuchs. Sie zeigten ihm, dass ihm der Trank nicht zu Schaden gereichen würde. Mir kam eine Idee. Ich erschuf eine Phiole und füllte etwas von der Energie hinein. Dann gab ich sie ihm. „Pflanze dieses Fläschchen in der Erde, als würdest du den Samen eines Heilkrauts pflanzen. Aus ihm wird eine Quelle erwachsen, die deine Familie nähren und die Wunden der Berge heilen wird.“
„Bitte nimm den Samen, den du mir zur Heilung schenken willst, und pflanze ihn in Mutter Erde ein. Er ist ein Geschenk für alle, jedes einzelne Wesen der Schöpfung, und nur, weil ich verletzt worden bin und Furcht empfinde, wenn mir jemand Liebe schenken möchte, soll er der Welt nicht vorenthalten werden. Nein, er soll wachsen, denn er ist ein Geschenk an die Welt." 
Während der Berggeist die Phiole vollkommen ungläubig betrachtete, erschien ein Wiesengeist und fragte mich nach einer meiner alten Verletzungen. Dann bot sie mir Heilung an und ich geriet in vollkommene Panik. Angst erfüllte mich und ich wich vor ihr zurück. Alte Traumata griffen nach mir. Ich wollte sie nicht näherkommen lassen und auch den Samen nicht nehmen, den sie mir mit offenem Herzen anbot. Es brauchte eine Weile, bis ich mich beruhigte. Während mein Körper immer noch fliehen wollte und in Alarmbereitschaft war, kam mir ein anderer Gedanke und ich begann, aus Energie etwas zu bauen, das dem Berggeist und den Seinen helfen würde. Nach und nach begannen die anderen Naturgeister mitzubauen und mitzuhelfen. Nach einer Weile bot mir der Wiesengeist abermals den Heilsamen an, aber anstatt schwächer zu werden wuchs meine Angst.
 
Während meine Gefühle zu einem Sturm heranwuchsen, hatte ich eine Vision. Ich sah einen großen See, an dessen Ufer eine wunderschöne violette Glockenblume durch die Erde brach und zu blühen begann. Wie in einem Zeitraffer begannen die Jahreszeiten vorbeizuziehen. Die Glockenblume welkte und verging und als die Zeit reif war, wurde sie strahlend wiedergeboren. Aus ihren Samen waren andere Glockenblumen erwachsen, die rings um sie wuchsen und sich gemeinsam mit anderen Blumen und Heilkräutern im sanften Wind wiegten. 
 
Ich verstand nicht, aber ich baute weiter gemeinsam mit den anderen Wesen, bis wir eine neue Wohnstatt für den Berggeist und seine Familie erschaffen hatten. Ich spürte die Trauer des Wiesengeistes, wandte mich ihm zu und sagte, „Bitte nimm den Samen, den du mir zur Heilung schenken willst, und pflanze ihn in Mutter Erde ein. Er ist ein Geschenk für alle, jedes einzelne Wesen der Schöpfung, und nur, weil ich verletzt worden bin und Furcht empfinde, wenn mir jemand Liebe schenken möchte, soll er der Welt nicht vorenthalten werden. Nein, er soll wachsen, denn er ist ein Geschenk an die Welt. Ich möchte dich nicht verletzen und schon gar nicht deiner Gabe Respektlosigkeit entgegenbringen. In mir ist Schmerz noch immer tief verwurzelt. Bitte pflanze den Samen in der Welt ein, so dass daraus eine Gabe der Heilung für alle erwächst, sie die Jahreszeiten erlebt und erfährt, wächst und gedeiht, genesen kann und heilt. Deine Gabe wird auf ihrem Weg zu mir finden, genau zu der Zeit, zu der es auf dem Pfad, den ich beschreite, richtig ist. Bis es soweit ist, lass sie für alle sichtbar werden und scheinen, halte sie nicht verborgen, nur weil ich im Augenblick blind dafür bin. Sie gehört mir nicht allein und ist nicht die meine verborgen zu halten in der Nacht, durch die ich wandle. Diese Gabe ist eine Gabe für alle.“ Der Same in den Händen des Wiesengeistes erstrahlte in reinem Licht und wuchs zu einer Glockenblume aus Licht heran. Tiefer Frieden füllte mein Herz, als der Wiesengeist die Blume sanft in Mutter Erde pflanzte. 
 
Mit einem Male verwandelte sich mein Körper in fruchtbare Erde und ein Samen begann, Wurzeln zu schlagen. Ein Same, der aufblühen wird, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Ein Same genährt mit Geduld und Liebe.
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Die Weisheit des Papageis

12/20/2023

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Der Papagei ist ein farbenfroher Mentor und Weggefährte, der verspielt und neugierig auf die Welt blickt, die ihn umgibt. Er reist munter durch alle Welten und hinter die Schleier, doch besucht er keine ohne Einladung. Er ist der geborene Verhandler und Diplomat, der oft gerufen wird, um andere zu begleiten, zu führen und auf ihren Reisen in die Anderswelt zu beschützen. 
 
Bevor er zu sprechen beginnt, atmet der Papagei tief in sein Herz hinein und lauscht den weisen Worten, die es zu ihm spricht. Er weiß um die Kraft aller Worte, jener, die ausgesprochen werden, und jener, die stumm bleiben, manche Segen, manche Fluch. Er sagt: „Sei achtsam, was du sprichst und was ungesprochen bleibt, denn deine Worte sind die Funken, die das Feuer entfachen, aus dem deine Träume geboren werden.“
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"White Parrot Dreaming", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
Der Papagei ist ein großartiger Zuhörer, mit einem scharfen Verstand gesegnet, dem nichts entgeht. Er hört mit dem Herzen zu, nicht mit seinem Kopf. Er weiß, dass das Herz die Wahrheit in allem heraushören kann, und wenn er antwortet, spricht er aus seinem Innersten heraus, zeigt furchtlos seine Farben und teilt seine Weisheit und Erfahrungen. 

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"White Parrot", weiße Pastellkreide, Kristin Raphaela Otti (2023)
„Üben, üben, üben!“, spricht der Papagei vor sich hin, „Folge den Schritten von gestern mit der Weisheit und Kunstfertigkeit von heute!“ Er wiederholt die Worte, die aus seinem Herzen stammen, wieder und wieder, bis sie zu einem Mantra werden, einem Zauber, der das Feuer aller nährt. 
Bevor er zu sprechen beginnt, atmet der Papagei tief in sein Herz hinein und lauscht den weisen Worten, die es zu ihm spricht. Er weiß um die Kraft aller Worte, jener, die ausgesprochen werden, und jener, die stumm bleiben, manche Segen, manche Fluch. Er sagt: „Sei achtsam, was du sprichst und was ungesprochen bleibt, denn deine Worte sind die Funken, die das Feuer entfachen, aus dem deine Träume geboren werden.“
Er gestaltet seinen Traum, sein Leben, mit seinen eigenen Farben, nimmt anderen niemals etwas weg, denn er weiß, dass er alles, was er braucht, bereits in seinem Herzen trägt. Für den Papagei ist jeder Augenblick ein Moment voller Magie und jeder Ort, den er besucht, ein Teil einer Welt voller niemals endender Wunder und Zauber. 

Wie der weiße Papagei grau wurde
Eine Mythe der Yorùbá neuinterpretiert von Kristin Raphaela Otti


​Eines Morgens, als die Sonne die Welt gerade mit ihrem goldenen Licht umarmte und sanft „Guten Morgen!“ flüsterte, rief der Große Eine alle Vögel zu sich, betrachtete sie voller Liebe und sprach: „Wenn Vater Sonne Mutter Erde morgen Früh sanft aus dem Schlaf erweckt, werde ich den schönsten aller Vögel zu mir rufen!“
 
Die Vögel begannen aufgeregt durcheinander zu zwitschern und überlegten, wer von ihnen wohl vom Großen Einen auserwählt werden würde. Dann berieten sie darüber, was sie denn tun könnten, um ihre Federn noch schöner, noch strahlender und noch bunter zu machen und nach und nach, wie es eben so geschieht, begannen sich ihre Herzen zu verdunkeln und sie betrachteten einander mit Missgunst und Neid. Hatten sie zu Beginn noch über die Schönheit der anderen gesprochen und einander Komplimente gemacht, so hielten sie nun lange Reden über die Makel, die sie zu sehen wähnten, lachten hinter dem Rücken der anderen und starten finster auf die farbenprächtigen Federn ihres Gegenübers. 

„Da bist du, Odide! Du bist wahrlich der schönste Vogel von allen, denn wahre Schönheit findet man im Herzen und nicht im Kleide, das jemand trägt. Viel Schmerz hat man dir zugefügt und dennoch bist du unerschütterlich meinem Ruf gefolgt und teilst das Licht deines Herzens ohne zu zögern!“
Von aufgeregtem Gezwitscher begleitet begannen die Vögel alles zu versuchen, um ihre Schönheit zu mehren. Sie badeten in frischem Quellwasser, tauchten durch Regenbogen hindurch, sangen zu Vater Sonne und baten Mutter Erde um Edelsteine, mit denen sie ihre Federn zum Strahlen bringen wollten.  Ein einzelner Vogel beteiligte sich allerdings nicht an dem geschäftigen Treiben, sondern saß auf einem Baum und genoss mit geschlossenen Augen den sanften Wind, der mit seinen Federn spielte. Das war Odide, der weiße Papagei.

​Den anderen Vögeln fiel zuerst gar nicht auf, dass Odide einfach nur auf einem Ast saß und sich nicht an ihrem Tun beteiligte, aber nach einer Weile wurde es ihnen unheimlich und sie begannen sich zu fragen, warum er nichts tat, um sein Federkleid zu verschönern. Angst begann sich in ihnen breit zu machen und Furcht kroch in ihre Herzen. Sie beschlossen, Odide einen Streich zu spielen. 

Sie flogen zu einem Vulkan und begannen Aschenreste zu sammeln, die an seinem Fuße lagen. Großvater Magma, der seine gefiederten Freunde aus wissenden Augen beobachtete, seufzte tief. Als sie genug Asche gesammelt hatten, versteckten sich die Vögel in den Bäumen und als Odide nichts ahnend vorbeiflog, warfen sie die Asche auf ihn. Sie begannen ihn zu verspotten und auszulachen. Jetzt war von seiner Schönheit nichts mehr übrig! Aber Odide schien es nicht zu kümmern. Er flog weiter und unterhielt sich mit allen Wesen der Schöpfung, als sei nichts geschehen.
 
Das machte die anderen Vögel noch zorniger, als sie es ohnehin schon gewesen waren, und sie entschieden zu einem Zauberer zu fliegen, der im dunkelsten Teil des Waldes hauste, genau dort, wo das einzige Licht, das jemals zu sehen war, das war, das von dem Feuer kam, das er entfachte, um seine Zauber zu weben und Tränke zu brauen. Sie berichteten dem Hexenmeister von Odide und baten ihn, dessen strahlende weiße Federn blutrot zu färben. Der Magier betrachtete die gefiederte Schar, die um ihn herum Platz genommen hatte, aus uralten Augen, die sich nicht mehr an das Licht der aufgehenden Sonne erinnerten, und tat, was sie von ihm verlangt hatten.
 
Die Vögel sangen triumphierend. Nun würde es dieser weiße Papagei nicht mehr wagen, sich vor dem Großen Einen blicken zu lassen. Mit Federn schwer und grau von Asche? Und dazu noch blutrote Schwanzfedern? Den Mut besaß er mit Sicherheit nicht. Niemals würde er mit einem schmutzigen Federkleid vor den Großen Einen treten.
 
Als Vater Sonne Mutter Erde am nächsten Morgen seinen Guten-Morgen-Kuss gab, nahmen alle Vögel rund um den Großen Einen Platz. Einer nach dem anderen kam angeflogen, auch Odide, der sich auf dem Knie des Großen Einen niederließ. Die versammelte Vogelschar starrte den Papagei mit offenen Schnäbeln an. Der Große Eine sprach voller Liebe, „Da bist du, Odide! Du bist wahrlich der schönste Vogel von allen, denn wahre Schönheit findet man im Herzen und nicht im Kleide, das jemand trägt. Viel Schmerz hat man dir zugefügt und dennoch bist du unerschütterlich meinem Ruf gefolgt und teilst das Licht deines Herzens ohne zu zögern!“

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    Kristin Raphaela Otti

    I am a shaman and storyteller from Carinthia, Austria, tending the fires of winter in the hearts and walking with those, who wish to embark on a journey deep within. 

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